Montag, 13. Januar 2014

Träume eines Durschnitt-Burkinabés



Dieses Wochenende entschloss ich mich dagegen aus der Hauptstadt zu fliehen und blieb in meinem Viertel um etwas Kraft zu tanken, durch entschleunigte Alltagsbewältigung. Also kein Alkohol, schlafen als hätte man einen Kater, bloß dass man morgens mit gutem Gewissen aufwacht, ausgiebiges Wäschewaschen mit der Hand und Musik im Hintergrund und Essen von frittiertem Zeug, dass mit scharfer Soße gegessen und anderen geteilt wird. 

Ich bin seit einem Vierteljahr hier und stelle mir hier immer wieder eine Frage: wovon träumen die Leute hier? Dabei geht es weniger um freudsche Analysemöglichkeiten als vielmehr ganz konkret darum, was hier das empfundene Lebensziel ist. Aus dem Gefühl raus besonders viel an Verhalten verstehen zu können, wenn es nur gelänge die Motivationen meiner Nachbarn etwas einzufangen, sitze ich also auf der Holzbank vor der kleinen Eckboutique mit dessen Betreiber. Amirou heißt er. Er ist gegen dreißig und ich nehme mir öfters einfach Zeit um mit ihm auf die Straße oder die Mauer gegenüber zu glotzen. Ich bat ihn mir seine Sprache etwas beizubringen im Tausch für etwas das ich ihm beibringen könnte, was es auch sei. Er kann nicht richtig schreiben und lesen, ich vermutete also er würde darum bitten ihn zu gesellschaftlicher Partizipation zu ermächtigen. Das wollte er auch. Also fragte er mich, ob ich ihm nicht helfen könnte Sprüche zu lernen, mit denen er Frauen überzeugen könne ihn zu heiraten. Zugegebenermaßen fand ich Aufreißsprüche im Tausch für eine Sprache einen merkwürdigen Deal. 

Aber vielleicht sollte man weiter ausholen um zu verstehen was dahinter steckt. Ohne Kontext wirkt vieles so schrecklich verrückt, im Wortsinn. Er besitzt nicht viel. Die Boutique mietet er im Monat für 2000 FCFA (Vergleich: 655 FCFA sind 1€), auf schmalen Regalen findet sich vom einzeln zu verkaufenden Teebeutel bis zu Damenbinden allerlei. Es ist das klassische Modell des Minimarktes, so was wie größere Supermärkte gibt es bei uns in der Nähe nicht. Was er verdient, steckt er wieder in neue Ware. Auf seinen zwei bis drei Quadratmetern findet sein Leben statt, er, hat seine Kleidung in einer Ecke, betet mehrmals am Tag auf einer Matte und schläft auf der selben nachts. Wenn die Kunden ausbleiben oder woanders einkaufen weil sein Sortiment nicht Divers genug ist, dann kommt es vor, dass er nichts isst. Es fehlen ihm dann 300FCFA. Auf die Frage, wovon er träumt, macht er eine ausladende Geste hinter sich zu seinem Laden, eine Geste die sich zugegebenermaßen schnell an der Grenze seines Wellblechpalastes erschöpft, und sagt „Ach weißt du, eine volle Boutique, einen Kühlschrank, damit ich Kaltgetränke verkaufen kann und genug Einnahmen um irgendwo ein Zimmer mieten zu können.“ Das ist sein Lebensziel. Ab und zu sehe ich ihn rauchen. Eine Feierabendkippe, obwohl er Muslim ist, „aber was soll man machen, es ist eine meiner wenigen Freuden..ich würde auch nur Cola verkaufen, Alkohol darf ich ja nicht anbieten als Gläubiger“. Er will vermeiden einen Kredit aufzunehmen, „denn man weiß nie, am Ende wollen die Leute doch immer mehr, da kann man nichts machen.“ 

Aber all das ist nicht wichtig, wenn man nicht irgendwie dabei sein kann. Also in der Gesellschaft. Egal welchen Mann mensch fragt, eine Heirat scheint das Ziel der Ziele zu sein. So auch bei Amirou. „Was nützt all das, wenn man keine Kinder hat?“ Aber Frauen sind teuer, sagt er, denn sie wollen gerne hübsch angezogen sein, ein tolles Moto fahren und chic ausgehen. „Wenn ich mit meinem Fahrrad einkaufen fahre, dann lacht man über mich“. Es stimmt, viele Junge Männer träumen vom großen Geld, einfach weil es die einzige Möglichkeit zu sein scheint, Frauen von sich zu überzeugen. In einer Stadt gerammelt voll von jungen Arbeitslosen tut Frau gut daran in einer stark patriarchalischen Gesellschaft zumindest Einen mit Geld abzugreifen, um sorgenfrei leben zu können. „Ich habe eine chérie aber das letzte Mal als ich sie herbeigerufen habe als wir hier mit Freunden saßen, hat sie mich verschmäht..das tat weh“. Ohne Geld schämt man sich im Zweifel des anderen. Wie also Frauen überzeugen? Jedenfalls nicht mit lesen-können, so sein Plan. „Du musst sie irgendwie überreden, dass Geld nicht zählt“ versuche ich etwas dünn. „ Ja aber wie, wenn es doch das Geld ist, das zählt?“ Es ist verzwickt. Wir sitzen stumm da. Mir fällt nicht viel ein. Wir glotzen die Mauer gegenüber an und warten auf Kunden die einen einzelnen Kaugummi kaufen.