Dieses Wochenende entschloss ich mich dagegen aus der
Hauptstadt zu fliehen und blieb in meinem Viertel um etwas Kraft zu tanken,
durch entschleunigte Alltagsbewältigung. Also kein Alkohol, schlafen als hätte
man einen Kater, bloß dass man morgens mit gutem Gewissen aufwacht, ausgiebiges
Wäschewaschen mit der Hand und Musik im Hintergrund und Essen von frittiertem
Zeug, dass mit scharfer Soße gegessen und anderen geteilt wird.
Ich
bin seit einem Vierteljahr hier und stelle mir hier immer wieder eine Frage:
wovon träumen die Leute hier? Dabei geht es weniger um freudsche
Analysemöglichkeiten als vielmehr ganz konkret darum, was hier das empfundene
Lebensziel ist. Aus dem Gefühl raus besonders viel an Verhalten verstehen zu
können, wenn es nur gelänge die Motivationen meiner Nachbarn etwas einzufangen,
sitze ich also auf der Holzbank vor der kleinen Eckboutique mit dessen
Betreiber. Amirou heißt er. Er ist gegen dreißig und ich nehme mir öfters
einfach Zeit um mit ihm auf die Straße oder die Mauer gegenüber zu glotzen. Ich
bat ihn mir seine Sprache etwas beizubringen im Tausch für etwas das ich ihm
beibringen könnte, was es auch sei. Er kann nicht richtig schreiben und lesen,
ich vermutete also er würde darum bitten ihn zu gesellschaftlicher Partizipation
zu ermächtigen. Das wollte er auch. Also fragte er mich, ob ich ihm nicht
helfen könnte Sprüche zu lernen, mit denen er Frauen überzeugen könne ihn zu
heiraten. Zugegebenermaßen fand ich Aufreißsprüche im Tausch für eine Sprache
einen merkwürdigen Deal.
Aber
vielleicht sollte man weiter ausholen um zu verstehen was dahinter steckt. Ohne
Kontext wirkt vieles so schrecklich verrückt, im Wortsinn. Er besitzt nicht
viel. Die Boutique mietet er im Monat für 2000 FCFA (Vergleich: 655 FCFA sind
1€), auf schmalen Regalen findet sich vom einzeln zu verkaufenden Teebeutel bis
zu Damenbinden allerlei. Es ist das klassische Modell des Minimarktes, so was
wie größere Supermärkte gibt es bei uns in der Nähe nicht. Was er verdient,
steckt er wieder in neue Ware. Auf seinen zwei bis drei Quadratmetern findet
sein Leben statt, er, hat seine Kleidung in einer Ecke, betet mehrmals am Tag
auf einer Matte und schläft auf der selben nachts. Wenn die Kunden ausbleiben
oder woanders einkaufen weil sein Sortiment nicht Divers genug ist, dann kommt
es vor, dass er nichts isst. Es fehlen ihm dann 300FCFA. Auf die Frage, wovon
er träumt, macht er eine ausladende Geste hinter sich zu seinem Laden, eine
Geste die sich zugegebenermaßen schnell an der Grenze seines Wellblechpalastes erschöpft,
und sagt „Ach weißt du, eine volle Boutique, einen Kühlschrank, damit ich
Kaltgetränke verkaufen kann und genug Einnahmen um irgendwo ein Zimmer mieten
zu können.“ Das ist sein Lebensziel. Ab und zu sehe ich ihn rauchen. Eine
Feierabendkippe, obwohl er Muslim ist, „aber was soll man machen, es ist eine
meiner wenigen Freuden..ich würde auch nur Cola verkaufen, Alkohol darf ich ja
nicht anbieten als Gläubiger“. Er will vermeiden einen Kredit aufzunehmen, „denn
man weiß nie, am Ende wollen die Leute doch immer mehr, da kann man nichts machen.“
Aber
all das ist nicht wichtig, wenn man nicht irgendwie dabei sein kann. Also in
der Gesellschaft. Egal welchen Mann mensch fragt, eine Heirat scheint das Ziel
der Ziele zu sein. So auch bei Amirou. „Was nützt all das, wenn man keine
Kinder hat?“ Aber Frauen sind teuer, sagt er, denn sie wollen gerne hübsch
angezogen sein, ein tolles Moto fahren und chic ausgehen. „Wenn ich mit meinem
Fahrrad einkaufen fahre, dann lacht man über mich“. Es stimmt, viele Junge
Männer träumen vom großen Geld, einfach weil es die einzige Möglichkeit zu sein
scheint, Frauen von sich zu überzeugen. In einer Stadt gerammelt voll von
jungen Arbeitslosen tut Frau gut daran in einer stark patriarchalischen
Gesellschaft zumindest Einen mit Geld abzugreifen, um sorgenfrei leben zu
können. „Ich habe eine chérie aber das letzte Mal als ich sie herbeigerufen
habe als wir hier mit Freunden saßen, hat sie mich verschmäht..das tat
weh“. Ohne Geld schämt man sich im Zweifel des anderen. Wie also Frauen überzeugen?
Jedenfalls nicht mit lesen-können, so sein Plan. „Du musst sie irgendwie
überreden, dass Geld nicht zählt“ versuche ich etwas dünn. „ Ja aber wie, wenn
es doch das Geld ist, das zählt?“ Es ist verzwickt. Wir sitzen stumm da. Mir
fällt nicht viel ein. Wir glotzen die Mauer gegenüber an und warten auf Kunden
die einen einzelnen Kaugummi kaufen.