Dienstag, 30. Juni 2009

DIe Wahrheit liegt dazwischen

Und der Traum geht so:

Ich laufe meinen typisch italienischen Arbeitsweg, eine unwirkliche Landschaft mit mir feindlich gesinnten Disteln; Gras umfasst, umstreicht meine Beine; ebenso wie die Katzen, die mich belauernd mustern und mich mit engen Sehschlitzen und voller Misstrauen beäugen. Meine Umwelt ist feindlich, aggressiv. Der ganzen Szenerie wird fürderhin noch ein apokalyptischer Touch durch qualmende und brennende Rasenflächen verleiht, die alles in einen unwirklichen gräulich-blauen Schleier hüllen. Der Himmel blutet und ergießt sich in einem brutalen orange-rot, dass noch von krassem rosa durchtränkt wird. Die Luft ist heiß, schon in der früh, sie ist feucht und schwer, wie ein dicker Mantel umschließt sie die Schultern und schnürt einem die Kehle zu. Man spürt den Kloß im Hals, kann ihn nicht runterschlucken, man fängt an zu laufen und stolpert über die eigenen Vorstellungen und Hoffnungen, stürzt und bleibt vom Selbstzweifel erbarmungslos niedergedrückt auf dem Boden liegen, zieht den ganzen Körper unfreiwillig wie sein Gesicht nach einem Biss in eine Zitrone zusammen. Wie in eine biblische Situation gestellt sehe ich mich in die Hauptrolle des bestraften Märtyrers gepresst, der sich mit vor Angst und Schreck geweiteten Augen erst verblüfft, dann die Bestrafung erkennend, die Umwelt annehmend sich selbst mustert. Über sein Gesicht geschrieben steht der Ausdruck: Warum? Auf den Rücken gedreht verschwimmt die Sicht langsam in einem Farbgemisch, überwältigende Gefühlswelten reißen einen rückwärts in einen nicht enden wollenden Abgrund, man fällt mit dem Kopf zuerst in einen dunklen schwülen Tunnel und wartet auf den Aufprall der Desillusionierung.

Mit dem Aufprall reißt der Traum ab, es folgt der diametral gegenübergestellte, wie der zweite Gegenpol, beide als Symbol für die Einheit, ausgedrückt in Diversität:

Ich liege auf einem Felsen, Stille um mich herum, mein Titanenschicksal jedoch das des Glücklichen, an die sandfarbene, von der Sonne gewärmte, Steinformation bin ich nur durch mein Lächeln, das Geräusch der Brandung gekettet, freiwillig Einsam, und die Flugtiere hacken nicht meine Leber sondern rufen ihren klaren, glockenhellen Ruf der Freiheit. Das Gesicht ist partiell von Blätterschatten umspielt, das Rauschen tausender lachender Naturformen erklingt, umspielt die Sinne, man fühlt sein Kinn gütig vom Lauwarmen Wind gestreichelt. Man richtet sich auf. In einem göttlichen Gleißen leuchtet die Landschaft auf, im Mund formt sich das Wort „ ja“ man kommt nicht umhin das Leben zu bejahen, ganz und gar im Moment zu sein, tief einzuatmen und zu bemerken wie sich ganz von selbst ein Lächeln auf die Lippen gesetzt hat. Auf brauner Haut schimmert und glitzert Salz auf blonden Härchen, Entspannung liegt knisternd in der Luft, sie ist so vollkommen, dass man Herzklopfen bekommt, aufregendes Wohlgefühl, die Atmosphäre ist förmlich fühlbar, greifbar, einverleibbar, man möchte den ganzen Augeblick in einer großen Umarmung umschließen und wie einen güldenen Kelch an die Lippen führen um das pure Glück mit vor Wonne geschlossenen Augen zu schlürfen, um den wohlschmeckendsten Nektar des Lebens mit sich zu vereinen. Die Arme in der Luft jubelt man der Existenz zu und verschmilzt mit der Zeit selbst, wird ganz und gar teil des Ganzen, löst sich wie Salz in im Ozean des Lebens auf.

Mittwoch, 24. Juni 2009

allerlei

Als Animateur hat man einen vierundzwanzigstunden Job. Wenn wie letztens eine Touristin umkippt, nach der Arbeitszeit, gerade wenn man aus dem Hotel laufen will, man hat ja schließlich frei, da heißt es- fahren sie bitte mit ins Krankenhaus. Sie sah bleich aus, ihr ging es nicht gut. Das komische an der Sache ist, dass gerade in solchen Situationen die Leute nicht rational denken. Nur weil man ein T-shirt in einer einheitlichen Farbe trägt, ist man augenscheinlich kompetent in allen Bereichen des Lebens. Es wurde also eine Diagnose erwartet. Das wichtigste in solchen Situationen ist genau dieses Klischee zu bedienen, zu versuchen die richtigen Fragen zu stellen, sodass es rüberkommt als hätte man Ahnung. Kompetentes Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit. Menschen in extremen Situationen werden auch unerwartet gesprächig und anhänglich. Als wir dann im Taxi saßen, stellte ich zur Ablenkung, Beschäftigung und Zeitüberbrückung allerlei fragen, die mir auch gerne und ausführlich beantwortet wurden. Eine Halbe Lebensgeschichte kann schon mal innerhalb einer viertelstündigen Autofahrt abgerissen werden.
Andererseits ist man selbst auch sehr nervös, ich hatte im Hotel noch etwas getrunken und im Krankenhaus stehend merkte ich, dass ich den Plastikbecher, nun völlig zerdrückt und zerwrungen, immer noch in der Hand hielt. Wir kamen gerade von der Bühne, ich hatte noch mein Kostüm von Grease an, eine Lederjacke und eine völlig übertrieben gestylte Tolle von „Danny“. Kathi wurde in ein Lederoutfit gepresst, in dem sie sich unglaublich unwohl fühlt, was sie im Eifer des Gefechts aber nicht mehr ablegen konnte. So standen wir dann zwischen Ärzten in grün. Als ich dann eingeklemmt unter zwanzig Personen in der Notaufnahme saß, überfiel mich plötzlich die Müdigkeit und die Erschöpfung. Es stellte sich zum Glück heraus, dass die Menschenmassen komplett das italienische Klischee bedienen und davon nur drei verletzt waren, die anderen waren besorgte Familie, die jeweils mit mindestens zwei familiy-vans rangekarrt worden waren. Ich schnappte frische Luft um mir das Privileg zuteil werden zu lassen einen Blick in einen Landestypischen Krankenwagen werfen zu können. Innen versuchte gerade ein Rettungssanitäter verzweifelt irgendeinen Lebensrettenden Gegenstand hinter einer Ablage hervorzuziehen. Mir wurde schlecht.

Genauso wie bei meiner vorletzten Fahrradtour. Wir waren nur drei Personen, alles lief bis zur letzten Geraden super, da hörte ich es hinter mir auf einmal krachen. Das worse-case szenario war eingetreten, der Gast war gestürzt. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, aber glücklicherweise einen Helm getragen, der war genau an der Schläfenstelle zerdrückt. Er wusste nicht einmal mehr, dass er gestürzt war. Ich hatte nichts dabei, kein Handy, kein Verbandszeug, rein gar nichts. Er hatte Abschürfungen und zitterte, bestand aber darauf, dass es ihm gut ginge. Ich fuhr vor und lies den Doktor kommen. Ich lief in die Rezeption, voller Blut (seins) und versuchte mit gebrochenem Italienisch und völlig aufgebracht zu erklären was ich will. Ich wollte eigentlich nur noch weg, aber das sagte ich DENEN natürlich nicht.

Bei meiner letzten Tour eine tolle Situation für einen Guide: wir fahren auf der Straße, ich sage noch „ gucken sie mal links, da sind Schafe“ und oute mich als das größte von ihnen, denn auf einmal schießen drei Hunde aus dem Tor genau auf meine Gäste zu. Simultan kommen frontal Autos mit italienischem Tempo und Fahrstil auf uns zu. In meinem Kopf spielen sich alle Möglichkeiten von GAUs ab.
Erstens: Überfahrene Touristen und ein mich anschreiender Italiener während mir ein Hund an der Gurgel hängt.
Zweitens: Gebissene Gäste, danach überfahren, ich verzweifelt mir as Leben nehmend im Anschluss.
Die einzige Möglichkeit war die tatsächlich eingetretene: die Hunde wurden kurz bevor sie die Opfer ansprangen, angefahren. Ich hörte einen dumpfen Schlag und jaulen, doch der Hnud rannte gleich wieder davon, es war anscheinend nichts passiert.

Mein Bein heilt gerade wieder. Es hatte sich entzündet, besser gesagt die Wunde, mir hatte der Doktor Cortisol direkt hineingesprizt, musste jetzt Antibiotika nehmen, durfte nicht ins Meer- oder Poolwasser, wurde auch erstmal von den Strandaktivitäten verbannt. Jetzt bin ich so gut wie wieder topfit.

Dienstag, 9. Juni 2009

Monsterblog

Hallo ihr lieben. Anschnallen, Poppkorn im Anschlag und entspannen, denn jetzt kommt der geballte Monsterblog für euch! Nein, es geht nicht um Volleyball, auch wenn ich natürlich erwähnt gewusst haben will, dass unsere Arbeit halb unter Palmen am Strand, mit der Bar, samt uns wohlgesonnenem Personal nicht unfern, natürlich einige Vorzüge bietet, wie eben auch das Spielen im Sand von Volleyball.

Das liebe Internet. Manchmal komme ich mir hier in Italien wie in einem Dritte-Welt-Land vor, das macht aber nichts, immerhin habe ich eine gute Vorbereitung mit der Wahl nach Italien zu gehen, getroffen. Es tat mir richtig weh euch nicht erreichen zu können, das könnt ihr mir glauben!

Mittlerweile bin ich ziemlich vollständig für die Fahrradtouren zuständig, ich merke aber auch wie immer mehr meine Kondition beim Radeln steigt. Nach wie vor aber immer noch ein Phänomen: die wahre Powergeneration sind nicht diejenigen meines alters, sondern die pensionierten Powerrentner. Wenn ich am Anfang der Touren noch in mich hineingrinsend denke, dass ich Kraft meiner Jugend und mit genügend Adrenalin-Testosteron-Gemisch davonziehen werde, schon erwähnte Generation staunend meinen Rücken betrachten lassen werde, dann enttäusche ich mich stets aufs neue. Denn schon an der ersten Steigung schießen auf einmal an mir mörderisch durchtrainierte vom Leben gezeichnete und unglaubliche ausdauernde Waden an mir vorbei und lassen mich „Jungspund“ alt aussehen. Älter als sie. Wenn man sich den Berg raufquält, frage man sich stets aufs Neue warum ich mir das antue, aber wenn ich dann die Abfahrt runterschieße fällt es mir wieder ein. Ich rase durch die unterschiedlichen Luftbereiche, mal drückend-schwül, mal frisch und windig, dann blumig-lieblich, das ganze im schnellen Wechsel, sodass ich mir wie ein bereifter Jean-Baptiste auf Speed vorkomme.

Italienisch verstehe ich mittlerweile besser. Da Stephen und ich bald schon zwei Monate hier sind, lernt man einiges. Am Anfang war es sinnfreies Geblubber, aber mittlerweile lassen sich einzelne Worte in den willkürlich aufsteigenden Gesprächs-Seifenblasen erkennen, die Farben ergeben Sinn und ganz vorsichtig nimmt man selbst den Puster in die Hand um in einem Versuch von Verbal-Ästhetik seinem gegenüber nur das Seifenwasser in die Augen zu spucken. Aber hey, man muss sprechen und nicht Angst haben ausgelacht zu werden, ansonsten lernt man nichts. Der Preis für die ersten Sätze Italienisch waren minutenlanges Gelächter mit Tränen in den Augen meines italienischen Gegenübers.

Im Team hatten wir Stress. Um ehrlich zu sein glaube ich, dass es mitunter an der harten täglichen Konfrontation der Mentalitäten liegt. Wenn die Italiener laut werden und mit ihrem gesamten extrovertierten Habitus loslegen, fühlen wir uns oft angegriffen und niedergemacht. Dieses Völkchen hat, so wie mir scheint, auch das dramatiche aus-der-Tür-gehen-wenn-alle-hinterherschreien erfunden. Das ist jetzt schon einige male passiert und man fragt sich echt ob man diesen spätpubertären Echtzeitdramatikern nicht mal einen Kurs zum Thema Verhaltensregeln bei Kommunikation im Team geben sollte.

Wir haben im Moment einen etwas harten Stand. Unser Vorgesetzter hat zu viel zu tun um sich um uns zu kümmern, er muss nämlich gaaanz aufwendige in einem anderen Hotel Candel light dinner vorbereiten, während unser Hoteldirektor Ammok läuft und uns droht bei jedem einzelnen Fehler aus dem Hotel zu schmeißen, der Psychodruck ist zeitweise etwas hoch. Einmal in der Woche wird anhand von Fragebögen, die unsere Hotelgäste ausfüllen, ein Ranking erstellt, also eine Bewertung der einzelnen Bereiche in diesem Ferienort kreiert. Eine Rubrik ist dabei „Animation“. Das Problem ist, dass der Direktor selbst die Auswertung der Zettel vornimmt und wir seit über zwei Wochen nun offiziell nicht gut genug sind, obwohl uns Gäste ganz gezielt ansprechen, dass sie sehr zufrieden sind und gerade auch das Konzept unseres Teams überaus schätzen. Die Person die uns pressiert nimmt also die „objektive“ Bewertung von uns vor und das bei einer Situation wo er uns nicht schätzt. Wir werden als das notwendige Hotelübel angesehen. Nach dem Motto: Animation hat man, spricht aber nicht drüber, als wären wir etwas unanständiges, das man Bewusst verdrängt, weil unheilbar.

Super interessant anzuschauen: ein Hierarchiexperiment. Wie sieht das aus? Ganz einfach. Man nehme eine liebe, leider aber in Sachen Menschenführung unerfahrene Junge Frau aus der Mitte eines Teams, mache sie zum Teamleiter in einem Land fremder Sprache und eines Teams internationaler Herkünfte (auch Macho-Italiener), Bemerke positiv, dass sie bereit ist einhundertzehn Prozent zu arbeiten und gebe ihr dennoch im Laufe von drei Wochen zu wenig Entscheidungsgewalt und entziehe ihr beinah täglich Kompetenzen, sodass sie nach gar nicht allzu langer Zeit gereizt, fahrig, übermüdet, überfordert, ungeduldig und wankelmütig wird. Man beobachte eine Weile. Man siehe den Tag vorher, an dem sie explodieren wird, indem man die relative Anzahl der Flüche im Arbeitsalltag mit der Absoluten Wachstumsrate der Augenringe in Zentimeterumfang multipliziere und gehe rechtzeitig in Deckung.

Wir sind eben doch alle sehr jung und unerfahren und wenn man den ganzen Tag zusammen verbringt, benah 24 Stunden, gerät man auch mit den Köpfen aneinander. Wann fängt das Privatleben an? Ab welchen Momenten hat man nur ein professionell Arbeitsverhältnis? Macht man das an der Tageszeit, an der Laune fest? Da ist man sich nicht immer so einig und wenn man dann scherzend auf einmal seinen einst Teamkollegen, jetzt vorgesetzten vor sich zu stehen hat, der sich in seiner Autorität angegriffen fühlt, hat man ein Problem.

Das haben wir uns jetzt eine Weile angeguckt. Kathi hat volle Power gegeben, sich ohne Ende reingekniet und nichts zurückbekommen. Eine Erfahrung die Stephen und ich im Rahmen unseres äußerst sinnfreien Bundeswehrjahres gemacht haben, war, dass man unter Umständen „ökonomisch“ arbeiten muss. Sie versuchte unseren Vorgesetzten zu erreichen, wir baten um Beistand. Nichts. Vodafonemailboxbandfrauenstimmen waren das Einzige was wir zu hören bekamen. Kathi machte weiter. Dann das unvermeidliche, sie brach. Und interessanterweise musste sie die Erfahrung selber erst machen. Ich hatte ihr vorher natürlich vorsichtig versucht dieses Denken näher zu bringen ohne als Arbeitsverweigerer dazustehen. Ich fühlte mich an Hesse erinnert, „ denn wahrlich, Erfahrungen müssen tief selbst erfahren werden, die Erfahrungen der Anderen sind subjektiv nichts Wert“ (so in etwa).

Wir entschieden uns für den Umschwung auf gemäßigteres Arbeiten, die Kämpfer auf verlorenem Posten. Tatsächlich kann man es so nennen, denn von allen Hotels die als Kette zusammenhängen sind wir sozusagen das vernachlässigte und ausgestoßene Kind der vergessene Außenposten hinter feindlichen Linien. An diesem Abend ist spontan im Rausche des emotionalen Festes folgender Text entstanden:

Gefühl der Auflehnung
Euphorie des Verbotenen
Vorgeschmack der Sünde
Wir beißen in den Apfel Garten Edens und spucken den Bissen der Schlange ins Gesicht, reißen Lachend die goldenen Pforten ein und werfen unsere Jungfräulichkeit vor Begierde zitternd über Bord.

Das Beste war der Italiener, der möchtegernkompetente Vorgesetzte, der natürlich irgendwann mit drei Wochen Verspätung eintrudelte. Da wir uns aber entschlossen hatten als Team alles zu wuppen (grüße an Guddi), hatten wir ihn nach wochenlangem flehen auf einmal überrascht, denn wir behaupteten stur es gäbe keine Probleme. Da offenbarte er auch einem von uns ernsthaft, dass er sich nicht hergetraut hätte, der laute fesche Italiener der, er hätte Angst gehabt wir würden alle einfach gehen wollen. Kompetent wie er ist entschied er sich für einen Verantwortlichen natürlich vorbildlich: abrakadabra- wegbinich. Danke noch mal an der Stelle.

Ich habe echt gute Laune, die Sonne scheint, die Gäste sind nett, man bekommt von einigen Seiten her für die harte Arbeit auch aufrichtige Anerkennung, ich mag unsere neuen Teammitglieder sehr gerne, mit Samo lache und scherze ich viel, auch bei hoher Belastung sagt er mir am Tag danach er hasse meine freien Tage. Da ich ihn bei seiner ersten Mountainbiketour fast verloren hätte nennen wir ihn liebevoll „Sumo“ oder optional auch „Slomo“, kurz für „Slowmotion“, Zeitlupe also. Jetzt haben wir ja auch zwei neue Mädels, die auch was Sprachen angeht fit sind. Da wir im Team überwiegend nicht-deutsch sind profitieren wir sprachlich natürlich mehr als wir das im Garden Resort getan hätten, wo wir „little Germany“ mitten in Kalabrien hatten.

Wir hatten unsere Premiere für Queen! Was für ein Gefühl. Die ganze Disko, unser Austragungsort, war rappelvoll, die Zuschauer standen teilweise. Auch hinter den Scheiben, drängten sie sich in den Raum und waren voller Energie. Dieses Gefühl, wenn die Zuschauerschaft mitsingt, sich mitwiegt und voller Energie ist, ist unbeschreiblich. Ich habe mich komplett durchgeschwitzt, Adrenalin, Aufregung und das einmalige Gefühl eines neuen Lebensabschnittes stiegen geballt in mir auf und wurden als Lachen und Performance freigelassen! Schminke, Kostüme, der gemeinsame Schlachtruf unmittelbar vorm Betreten der Bühne, das sind alles Dinge, die man erleben muss, weil sie pure Lebenserfahrung sind.
Dafür bin ich hergekommen.

Mittlerweile habe ich schon die eine oder andere Show mitgemacht und es ist unglaublich wie man an sich selbst die Unterschiede bezüglich Aufregung feststellen kann. Man geht mit jedem Auftritt mit etwas mehr Routine auf die Bühne, wird etwas mehr abgebrüht. Das ist aber nichts schlechtes, man traut sich auch automatisch immer mehr. Man Überreibt Bühnentypisch Gestik und Mimik, improvisiert in den passenden Momenten und lässt sich weniger anmerken, wenn man Fehler macht. Improvisation ist zudem eine Quelle für spätere Auftritte, wenn man spontan etwas macht, was einem gefällt, baut man es danach ganz bewusst ein, sogar so, als würde man gerade improvisiert haben.

Ich lerne Unordnung im Chaotischen Italien. Aber den Höhepunkt bildete vorerst eine Begegnung kreatürlicher Art. Während ich mit der Nase auf dem Boden meine Übungen mache, sticht mir ein komisches Ding in die Augen. Es fängt mit „kaker-„ an und endet mit „lake“. Stephen hatte sie in unserem Zimmer geplättet. Da war ich ebenso geplättet. Und jeder reagiert bei so was unterschiedlich, ich fand es gar nicht so schlimm, ich wurde allerdings von unserem Appartementpartner an Entspannung noch übertroffen. Originalton von Samo aus Brattislava: Nur eine? Langweilig.

Seit neustem Kämpfe ich mit Krämpfen, die mich aus dem Schlaf reißen lassen, so wie auch die superweichen Matratzen, in denen man so sehr einsinkt, das die Stirn beinah die Knie berührt, die Mücken die einen erbarmungslos mit Summen und Stichen penetrieren, der Nachbar der am einzigen freien tag bei einer Wanddicke von einem gefühlten halben kleinen Finger anfängt seine Saxophonübungen durchzuführen, die fahrenden Händler, die mit Mikrophon zu menschenunmöglichen Zeiten ihre Wahre anpreisen, die niemals so gut sein kann, um dieses Spektakel zu rechtfertigen, oder die Routine, die einen hochschrecken lässt.

Eine neue Frisur musste her. Wann und wo wenn nicht hier, die Gäste sehen mich nur eine Woche, maximal zwei und getreu meiner neusten positiven Erfahrung (einfach machen, man bereut im Nachhinein immer das was man nicht gewagt hat, nicht das, zu dem man sich getraut hat) sehe ich etwas anders als sonst aus. Die Seiten habe ich ganz kurz, oben länger, Seitenscheitel, vorne Locken. Meinen Mut muss ich fairerweise etwas rationalisieren. Ich habe der italienischen Friseurin kraft meines unzulänglichen Sprachvermögens wohl nicht ganz die Feinheiten vermitteln können, die mir die deutsche Sprache offeriert hätte, mein Haarwunsch muss übersetzt so viel Spielraum geboten haben wie: Seite Kurz, Rest weiß noch nicht“ ZzZzrrrgzzr machte es und ich realisierte, dass sie an meiner Seite mit dem kleinsten Aufsatz in einerunglaublichen Geschwindigkeit ( in etwa derjenigen, mit der sich eine komplett neue Axe-Deoflasche in einer WG offen rumstehend verflüchtigt) durch meine Wolle geschossen war. Soviel zum Thema: ich habe mich bewusst entschieden…
Während ich hier sitze trage ich die Haare zentriert in der Mitte und die schminke um die Augen von der gestrigen Queen-Schau, sehe also wie ein Cherokee-Indianer aus.

Das Verb „Flanieren“ kommt aus dem Italienischen und soll in einer kurzen Erläuterung erklärt werden, die genaue Funktion, der Ablauf schnell entworfen werden. Man betrachte objektiv als Außenstehender.
Zwei Gruppen von Italienern bewegen sich, vorzugsweise am Strand oder an der Promenade, aufeinander zu. Verschiedene Möglichkeiten der ersten Kontaktaufnahme offenbaren sich. Je nach Grad der Flirtbereitschaft wird der Erstkontakt schon sehr früh aufgenommen. Das „Ciao“ kommt umso früher, je länger man sich die Zeit des Redens-beim-Vorrübergehen gönnt. Auch beliebt, die bis-zum-letzten-moment-warten Taktik, bei der in dem letzten Bruchteil einer Sekunde, kurz bevor das Objekt der flüchtigen Begierde aus dem Peripherblick verschwindet, der Kopf ruckartig rumgerissen wird, um eine ultraschnelle Erstevaluation durchzuführen, die dann im italienischen ja-nein Verfahren das weitere Vorgehen bestimmt. Denn ganz offenbar haben meine derzeitigen Landsleute die primärste Form des Flirtens entworfen. ER will immer, seine Bereitschaft wird durch unverhohlene Ganzkörpermusterung signalisiert, die Entscheidungsgewalt der Partnerwahl wird somit allerdings komplett in die Hand der Weibchen gelegt. SIE kann sich des eins-null Systems bedienen, Null, also „Nein“ ist in der konkreten Umsetzung das komplette Ignorieren des Gegenübers, eins, demnach „Ja“ ist interessanterweise nicht viel mehr als ein flüchtiger Blick, in seltenen Fällen auch in Kombination mit einem Lächeln unter sozialen Beobachtern gesehen worden, in solchen Momenten dürfen sich die Männchen besonders große Hoffnungen machen, doch Obacht, diese dürfen sich nicht immer ihres Erfolges bei der Partnerfindung in solch einem frühen Stadium gewiss sein, denn es gibt die gewiefte Form der Ego-Pusherin unter den Flaniererinnen. Gerät man in die Fänge einer solchen hat man verloren.
Fortsetzung folgt, die Studie ist im vollen Gang…

Dieser bedankt sich mit einem lauten Kriegsheuler bei euch für eure halbe Stunde Aufmerksamkeit, Kommentare schickt am besten an meine Adresse hier:

Matthias Lücke Animation
Hotel sunbeach resort
Via Lungomare 1
88069 Squillace Lido
Catanzaro