Montag, 7. Dezember 2009

Neue Arbeit II

Nachmittags wird geimpft. Wir machen das erstmal nur in der oralen Version, da wir noch keine Injektionsausbildung haben. Macht aber nichts, denn das ist her fast genauso viel Arbeit. Man steht da im Kittel, dem ersten Anlass zur Panik mit einer kleinen gläsernen Ampulle mit Aufsatz in der Hand, der zweite Anlass bei Sichtung, beugt sich über das Kind und sagt in gebrochenem Kinyarwanda soviel wie: keine Problem, mach den Mund weeeeit auf. Das klappt praktisch nie. Deswegen wird das Kind von Ärzten und Müttern fixiert, mit Daumen und Zeigefinger werden die Wangen zusammengedrückt, sodass eine Schnute mit Öffnung entsteht, da die Backen jedoch nicht das einzige unter Druck sind, leider auch mit der Nebenwirkung eines seelischen Panikzustandes des Kindes, das nicht selten zu denken scheint, man wolle es umbringen, es windet sich, fuchhtelt wild herum und in Tränen aufgelöst fängt es an zu schreien. Das ist dann aber berechneterweise genau der Moment, wo man blitzschnell und hinterlistig die zwei lebensrettenden Tropfen im Mund versenkt. Ein kurzer stutziger Blick, meist sofortig abebbende Tränen und die Erleichterung setzen ein.
Hat man aber eine Reihe von Kindern, vorzugsweise Geschwister dazustehen, ist die Panik infektiös, es steht eine Horde von aus leibeskräften brüllenden Kindern vor einem, die nacheinander relativ lieb- und verständnislos von ihren Müttern an einem Arm herangezerrt werden. Aber das ist hier so üblich. Väter sieht man hier übrigens fast nie Kinder bringen, genauso alltag.
Die Krönung, und für mancherlei Stöpsel das fiese Finale, ist die Markierung mit nicht abwaschbarem Filzstift auf dem Nagel des linken kleinen Fingers. Einige können ab da mitunter nicht im geringsten mehr an sich halten, andere sehen es als Belohnung.

Zwei Extreme sind mir schon untergekommen. Das eine Mädchen hat bei meinem Anblick schlagartig angefangen zu heulen. Es war erstaunlich, wie erst ein kurzer Schatten des wiedererkennens, oder eben vielmehr des Erkennens etwas unbekannten durch die Augen huschte, sich das ganze kleine Gesichtchen zusammenzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen und plötzlich schrie. Sie konnte schon laufen und präsentierte spontan ihre humane interpretation von gehetztes-Tier-flüchtet-ums-Leben. Die Mutter lachte entschuldigend, doch das Kind war in schierer Panik. Der Kopf wurde im Schoß eingeklemmt, der Nacken zurückgelelgt, weit aufgerissene Augen erschlugen nacheinander alle umstehenden und sie stampfte so sehr mit den Füßen das wir Schwierigkeiten hatten sie zu halten. Bei meinem Anblick ging gar nichts mehr. Aufeinmal rinnt Urin an ihrem Bein herab und sie steht in einer Pfütze, stampft ungeachtet weiter. Die gleiche Tortur spielt sich noch mal bei der Markierung ab. Sie tat mir ehrlich leid.
Das nächste Baby schrie auch aus Leibeskräften. Ich schnalzte mit der Zunge und sagte nannana wer wird den wohl schreien, hielt den Daumen hoch und lächelte. Wer hätte gedacht, dass es manchmal nicht mehr bedarf, denn es hörte blitzartig auf, musterte mich mit großen runden Kulleraugen, schaute mich fragend an und hielt einen Winzigen Daumen mich imitierend in die Höhe.
Das letzte kleine Mädchen war bestechen süß, als sie nicht nur nichts von sich gab, waehrend sie gehorsam geimpt wurde, sondern sich ihren kleinen Finger mit schiefgelegtem Kopf besah und befand, dass das so ja wohl nicht ginge, nicht reiche, deshalb alle zehn Finger nach vorne hielt und eine komplette maniküre verlangte, sozusagen, zumindest aber einheitlich schwarzbekritzelte Nägel verlangte. Gesagt getan. So stolzierte sie dann andächtig alle Finger gespreizt beguchtend davon.

Natürlich. Die neue Arbeit ist sehr anstrengend. In einem Raum mit mindestens drei schreienden Kindern, meist, nein, fast immer mehr, dazu die schwitzenden Personen, die Rufe, das Transpirieren und das Lachen der Mütter mischt sich mit der olfaktorischen Erfahrungswelt von vielleicht vier bis fünf gleichzeitig zu wickelnden Kindern, die auf dem Schoß bäuchlings liegend bearbeitet werden.

Doch ich mag sie, die neue Stätte meines Schaffens, denn im Gegensatz zur Vorigen sehe ich hier direkt die Auswirkungen meines Handelns, ich habe den Eindruck wirklich beizutragen und habe gleichzeitig die Erfahrung gemacht, dass sowohl das Medizinische, als auch die Arbeit mit Kindern (trotz des ganzen nervenaufreibenden Stresses) mir wirklich zusagt. In zwei Monaten spätestens werde ich auf dem Gelände den Arbeitsbereich wechseln können, um mir etwas anderes anzuschauen, somit hat das Projekt hier sozusagen mehrere eingeschlossen.
Um es auf den Punkt zu bringen, für alle die mit mir mitgefiebert haben: ich bin glücklich!

5 Kommentare:

http://abebedorespgondufo.blogs.sapo.pt/ hat gesagt…

Good.
Portugal

Opi hat gesagt…

Hallo Matthias,

wir sind mit dir glücklich.

Omi & Opa
aus Ostfrieland

Stephen hat gesagt…

es freut mich zu lesen das die gefühlsmäßige Achterbahn die wir beide ja aus Italien kennen auch in Ruanda nicht abzuebben scheint :) Ich hoffe das du möglichst lange Zeit noch auf der hochphase der Gefühle schwebst und dich nichts sobald abhebt. Mein Paket an dich ist übrigens in arger Planung aber du kennst ja leider meine
verwirklichungsdauer von geplanten dingen. Wünsche dir noch viel spaß und denk ab und zu an uns ;)
Dein pista!

Anonym hat gesagt…

Hey mein Brasa!

Ich finde das hört sich toll an! Ich bin froh, dass du nun eine Aufgabe hast, die dir so zusagt! Und wer weiß, vielleicht entdecktst du ja gerade was du mal studieren willst :) Medizin? :P
ich habe dich ganz dolle lieb und drück dich!
deine sistaaa

Anonym hat gesagt…

mehr als "glücklich" geht nicht!

Klingt vielleicht kitschig - aber ich bin stolz auf meinen Sohn.

Liebe Grüße
Papa