Donnerstag, 28. November 2013

Alltäglicher Wahnsinn I



„L’enfer, c’est les autre“ – Die Hölle, das sind die anderen. Ich glaube das hat mal ein schlauer Franzose gesagt, Sartre oder so. Ich möchte hinzufügen: Hölle, das sind die anderen im Alltag. Und vor allem man selber. Ganz im Prinzip von Ulysses werde ich euch deswegen einen exemplarischen Tag etwas ausführlicher darstellen, damit die Art und Weise der  bisherigen Darstellung etwas aufgebrochen wird, die sich stets auf das Exzeptionelle stützt und somit zwangsläufig ein falsches Bild vermitteln muss. Der alltägliche Wahnsinn am Beispiel des Gestrigen tages also…

…beginnt im schummrigen Halbdunkel in meinem Zimmer am Rande meiner Madtraze. Am Rand, weil der Mittelteil so durchgelegen ist, dass man im Zentrum wie auf einem zusammengedrückten Schwamm eigentlich auf dem Beton liegt. Die erste Wahrnehmung ist nicht sehen, sondern fühlen. Ich fühle die Mückenstiche auf der Haut und den Sand im Bett. Putain, wie kommen die Viecher bloß immer unter das Netz und vor allem, dieser Scheiß Sand auf mein Laken? Wie ein Idiot schüttel ich das doch immer aus und achte darauf, dass ich nie was reintrage, rein, in mein Heiligtum der Privatsphäre, in mein Zimmer im Zimmer, denn wenn man schon kein Vorraum oder dergleichen hat, dann ist so ein Rückzugsraum eine feine Sache. Ich zwinge meine Lider auf und wie ein Tropfen im Wüstensand sickern meine Augen in den Tag. Das erste was sie sehen ist den Reifen meines Motos, das ich über Nacht in mein kleines Zimmer bis an meine Schlafstätte schiebe. Es ist noch vor sechs Uhr morgens, weil ich mich schnell fertig machen will um die morgentliche Rushour zu vermeiden. Ich schiebe also das Moto in den noch tuberkulös fahlen Tag und sehe meine Nachbarin ihr Baby waschen und den Boutiqier auf der anderen Seite der Mauer sich warm anziehen, es ist frisch, nur knapp über zwanzig grad. Ich wasche mir die Mischung von Staub und Schweiß vom Leib, an einem Eimer im Hof, den Rest versprenkel ich auf der Erde als solidarisch-morgentliche Staubbekämpfung und pseudo-Regen. Ich ziehe mich an und komme mir wie jeden Morgen lächerlich vor, wie ich mit Hemd und UN-Ausweis an meiner Hose baumelnd zwischen den Häuschen stehe, die man von weitem nicht mal als unterschiedlich von der Erde erkennen würde. Wenn man nur weit genug weg ist, dann verschwimmt hier alles. Rot-beige ist das Grund-Motto der Szene „Burkina“ im Stück „Mein Leben“ von allem was nicht regelmäßig geschrubbt oder gewaschen wird. Am Ende gewinnt der Staub immer.

Ich schiebe das Moto durch das mit einem umgebogenen Metallstück gesicherte Tor, sitze auf und beginne den Kampf mit dem Biest. Ich trete den Anlasser auf einer Skala von sacht bis grob, ich rede dem Moto gut zu, fluche und schimpfe, wenn nichts klappt dann hilft manchmal flehen. Einmal angelassen beginnt das Tauziehen zwischen arbeitsverweigernder Maschine und den Motor würgendem Menschen. Die Elektronik funktioniert nicht, also auch nicht die Anzeige der Gänge, ich muss im Kopf immer mitzählen. Es ist bockig und sobald der Gang nicht wirklich mit der Geschwindigkeit übereinstimmt, was im Verkehr mehr als wahrscheinlich ist, dann wirft es das Handtuch und mich fast ab. Dritter Gang – ich näher mich der Ampel – am Anfang war es schwer sich auf den Verkehr zu konzentrieren, wenn die Höllenmaschine auf der man reitet gemeistert werden will – zweiter Gang – ZZrrritsch, die Kette rutscht um ein paar zacken und ich versuche nicht nach unten zu schauen, der Rest ist wichtiger. Während ich mich frage was auf lange Sich gerechnet besser ist – RUMMS erster Gang – einen Helm zu tragen der mich schützt falls mir etwas passiert, oder ihn wegzulassen, weil er im unübersichtlichen Verkehr dank eingeschränkter Sicht die Wahrscheinlichkeit erhöht dass mir etwas passiert – KRACH Leerlauf – reihe ich mich in das Spektakel der rally-Start Position im Rennen „Ampel“ ein. Ich bin eine Sekunde zu lange in Gedanken, fordere den Motor nicht ständig mit einem kontinuierlichen WRmm WRmm, das Biest langweilt sich und macht dicht, just in dem Moment, wo die Ampel auf Grün springt. Natürlich. Da mir das aber in der Anfangsphase an ungefähr jeder Ampel passiert ist, gehe ich dem Monster Routinemäßig an die Gurgel und zwinge es in den Verkehr. Es will nicht, doch zweimal nachgetreten und es ändert seine Meinung.
Ich rolle endlich in die Einfahrt der UN und stelle in der Garage das Ungetüm zu seinen Freunden, nehme den geliehenen Helm mit, da er beim letzten mal hierlassen auf mysteriöse Weise kaputt ging und niemand verantwortlich war. Abergläubisch streichle ich mein Gefährt und rede ihm kurz gut zu, flüster ein „merci“, immerhin hat es weder mich noch seine Kette abgeworfen. Fast artig möchte man sagen.

1 Kommentar:

Gudrun hat gesagt…

Klasse! Herrlich zum Schmunzeln! So wie Du es beschreibst, habe ich es bildlich vor Augen und sehe Dich auf dem Gefährt.